Wenn zwei sich streiten, dann fliegen die Fetzen!
So könnte man zusammenfassen, was da gerade zwischen zwei Schwergewichten in Sachen WordPress vorgeht. Auf der einen Seite Matt Mullenweg, Initiator und leitender Entwickler von WordPress sowie Chef von Automattic, das unter anderem wordpress.com betreibt und auf der anderen Seite WP Engine, einer der größten Hoster für WordPress-Websites. Der öffentliche Streit begann vor einigen Tagen beim WordCamp US, bei Matts Q&A Session. Er kritisierte WP Engine sehr deutlich und reichte dazu auch einen Blogbeitrag auf wordpress.org nach. Er verglich die Beiträge zum Open Source Projekt von WP Engine mit denen von Automattic und seine Kritik an WP Engine scheint auf den ersten Blick auch stichhaltig: Beide Unternehmen haben eine vergleichbare Größe und während Mitarbeiter*innen von Automattic pro Woche an die 4.000 Stunden für das Open Source Projekt arbeiten, sind es bei den Mitarbeiter*innen von WP Engine nur 40. Sagen zumindest die Statistiken bei wordpress.org. WP Engine sieht das natürlich anders und verweist auf verschiedene andere Arten, auf die sie der Community etwas zurückgeben.
Die Kritik am pauschalen Abschalten der Revisionen in WordPress bei WP Engine kann man nachvollziehen. Diese Revisionen erlauben es, auf frühere Versionen einer Seite oder eines Beitrags zurück zu gehen, es ist also ein sinnvolles Feature. Es ist aber auch so, dass zu viele Revisionen in der Datenbank eine WordPress-Site ausbremsen können, wir haben auch schon einigen Kund*innen empfohlen die Revisionen auf ihrer Site zumindest zu begrenzen. Aber sie pauschal abzuschalten und nur auf Anfrage und eingeschränkt zu aktivieren, halte ich nicht für eine sinnvolle und kundenfreundliche Lösung. Ob der Grund wirklich das bisschen Speicherplatz ist, was WP Engine dadurch sparen kann oder es um die Performance der Sites geht – schön ist so ein Vorgehen für die Kund*innen eher nicht.
Sein Beitrag endet mit dem Aufruf „vote with your dollars“, also mit dem Geld abzustimmen und zu „buchstäblich jedem anderen WordPress Hoster“ zu wechseln, also faktisch einem Boykottaufruf gegen WP Engine – und das konnte und wollte man sich bei WP Engine nicht gefallen lassen und reagierten mit einem cease and desist letter – könnte man als Abmahnung bezeichnen. Was darin beschrieben wird könnte man durchaus als Erpressungsversuch bezeichnen: Matt habe im Vorfeld des WordCamp US von WP Engine „eine sehr große Summe“ verlangt, zu zahlen an Automattic, sonst würde er WP Engine beim WordCamp angreifen mit einem „scorched earth nuclear approach“. Was er ja dann auch getan hat.
Darauf reagierte Automattic mit dem Vorwurf gegen WP Engine, dass sie die Markenrechte an WordPress und WooCommerce verletzen und die Bezeichnungen außerhalb des erlaubten Rahmens nutzen. WP Engine verneint das (natürlich). Inzwischen gibt es in den Richtlinien einen eigenen Absatz zu WP Engine, in dem behauptet wird, dass der Name irreführend wäre, weil Menschen denken würden, dass WP Engine für „WordPress Engine“ stünde.
Es folgt die nächste Eskalationsstufe: WP Engine hat wohl bei allen ihren Kund*innen den WordPress.org Newsfeed aus den Dashboards entfernt. Zugegeben, ich selbst schalte den auch als erstes ab in meinen WordPress-Instanzen, aber als Hoster muss man seinen Kund*innen da schon die Wahl lassen. Es ist aber natürlich nachvollziehbar, dass WP Engine nicht unbedingt die – aus ihrer Sicht unbegründeten – Angriffe gegen ihr Unternehmen in den Dashboards ihrer Kund*innen haben möchte.
Die Reaktion von Matt und wordpress.org? Die Server von WP Engine wurden von wordpress.org und der ganzen Infrastruktur geblockt. Das bedeutet für die Kund*innen von WP Engine, dass sie keine Updates mehr für den WordPress Core, Themes und Plugins aus dem wordpress.org Verzeichnis über den eingebauten Updater erhalten. Ich würde aber die Einschätzung von WP Engine nicht unbedingt unterschreiben, dass dies keinen Einfluss auf die Sicherheit der WordPress-Instanzen hätte – zumindest wenn ein Workaround zu lange dauert, kann es kritisch werden. Spätestens mit dieser Aktion geht Matt meiner Meinung nach zu weit, egal wie berechtigt seine Kritik auch sein mag. Er nimmt hier die unbeteiligten Kund*innen von WP Engine quasi in Geiselhaft, setzt sie wissentlich Risiken aus, um Druck auf WP Engine auszuüben. Viele dieser Kund*innen wissen wahrscheinlich nicht einmal etwas über den Streit oder was denn nun der Unterschied zwischen „echtem WordPress“ und „WP Engine WordPress“ ist und laufen im schlimmsten Fall in Sicherheitsprobleme.
Soweit der Versuch einer Zusammenfassung bis zu diesem Punkt. Es ist kaum zu erwarten, dass die Situation sich zu schnell auflöst, die nächste Runde wird sicher nicht lange auf sich warten lassen. Aber egal wie diese Auseinandersetzung am Ende ausgeht, eines hat Matt Mullenweg hier sehr deutlich gezeigt: Die Software WordPress ist zwar Open Source, aber trotzdem an vielen Stellen von Services abhängig, die von wordpress.org betrieben werden – und von diesen Services kann man ausgesperrt werden. Ein Punkt, über den letztlich alle Anbieter von WordPress-Hosting-Services nachdenken sollten (und ja, wir tun das). Da Matt einerseits der Chef des nicht-kommerziellen Projekts, aber eben auch eines kommerziellen Unternehmens im WordPress-Bereich ist, sind Interessenskonflikte wohl auch ein Thema. Was auf jeden Fall feststeht: In Sachen Vertrauen hat Matt mit diesem Vorgehen weder dem Projekt WordPress im speziellen, aber auch Open Source Projekten allgemein keinen Gefallen getan.